Sail200X

Fünf Mann in einem Boot

Sail2005

 

Prolog 

Nennt mich Gevatter. Es war vor einigen Wochen – is’ ja auch egal – ich hatte jede Menge Geld über, sonst aber nichts, was mich an Land besonders gefesselt hätte. Da kam mir der Gedanke, ein wenig zur See zu gehen und mir den nassen Teil der Erde anzusehen. Das ist eigentlich so gar nicht meine Art, mir die Grillen zu vertreiben, aber irgendwie muss ich ja meinen Blutkreislauf anregen.

Immer, wenn sogar ich den Eindruck gewinne, daß sich mein Gesichtsausdruck zu grimmig gestaltet und ich alle Hoffnung verliere den kommenden, hoffentlich grau-neblichten November mit einer angenehm milden Depression zu verbringen, wenn also auch der letzte Rest von Schwermut zu verschwinden und einem belanglosen Gefühl der Alltäglichkeit zu weichen droht, so daß es starker sittlicher Grundsätze bedarf, um mich davor zu bewahren die Zuversicht darüber zu verlieren, daß mir im Zweifelsfall immer noch die Möglichkeit bleibt die schlimmsten Idioten in Streifen zu schneiden – dann ist es meines Erachtens höchste Zeit, so schnell wie möglich etwas zu unternehmen, und sei es, sich einem unendlichen, grauen, endlos abgründigen, ewig wogenden Ozean auszusetzen, hoffend, daß sich etwas von seiner deprimierend grenzenlosen Allgegenwart der gepeinigten Seele mitteilt.

 

Manch einer würde sich resignierend vor den Fernseher setzen. Ich begebe mich einfach an Bord. Dabei ist nichts überraschendes. Ohne es zu wissen haben die meisten Leute hin und wieder auf ihre Art dem Mittelmeere gegenüber dieselben Empfindungen wie ich.

Anfang vor dem Anfang

 

Wie jede Geschichte, so hat auch diese, die nebenbei bemerkt den Vorzug hat, wahr zu sein, einen Anfang. Bei den vielfältigen Verwicklungen, die das Leben so bereithält fällt es bisweilen schwer den Punkt zu finden, an dem sich ankündigte, was anzufangen je schon begonnen hatte. Um solcherlei Probleme zu umgehen kann es sich daher als günstig erweisen einen Anfang zu wählen, der seinen Ursprung vor Beginn des Geschehens hat, doch ach … auch solches ist hier schwer zu bestimmen und je mehr ich mich zu entsinnen versuche wie der Ereignisse Hergang sich im Vorfelde gestaltete, umso unklarer wird mir der Sinn des Ganzen.

 

Nun läßt sich ein Moment greifen, der als Ereignis zwar unbedeutend, in seiner zeitlichen Verortung aber früh genug zu liegen scheint, so daß ich damit ansetzen will, daß mir die Ehre zuteil wurde gemeinsam mit unserem Skipper zum Sammelpunkte zu fahren, zu welchem seine Wohnstatt bestimmt war. An der ganzen Art und Weise den Wagen sicher durch die brandenden Wellen aus Blech und Kunststoff zu führen erkannte man schon hier an Land den dominanten Führer, das Alphatier, den unerbittlichen Master und Comander, der mit gottähnlicher Gewalt unter Einhaltung eines eisern disziplinierten Regimes seine Mannschaft sicher zu führen weiß.

 

Wie so oft, so erwies sich auch hier der strenge Meister als guter Wirt, so daß die, sich langsam einfindende, Crew keine Not zu leiden hatte. Übermütig von der Fülle entbrannte eine ziemlich unsinnige Diskussion über die nötige Menge an Knoblauch mit der das Mahl zu versehen sei, da zu berücksichtigen war, daß außer uns noch weitere Passagiere an der bevorstehenden Flugreise teilnehmen wollen werden. Eine unsinnige Diskussion, denn im Angesicht der Tatsache, daß wir uns bald im Lande wo der Knoblauch blüht aufhalten werden, hätte ruhigen Gewissens auf dieses delikate Gemüse verzichtet werden können.

 

Es ist prinzipiell unverständlich, weshalb es nötig ist, sich zuerst in die Luft zu begeben, wenn man sich vom festen auf das flüssige Medium begeben will, gleichwohl war dieser sublimative Schritt nötig, weshalb wir uns nach einer kurzen, aber erholsamen Nacht zum Flughafen begaben. Es herrscht bis heute Uneinigkeit über die Qualität des Schlafes, der uns Reisende in den weiträumigen Gemächern der Herberge umfing. Leicht erregbare und hellhörige Gemüter mögen sich beklaget haben ob der mannigfaltigen Geräusche, die die Stille der Nacht durchrissen, ich für meinen Teil fühlte mich gestärkt und den Fährnissen der nächsten Stunden gewachsen. Auch fühlte ich eine starke innere freudige Erregung, die der Gedanke an ein opulentes Frühstück auf dem Flughafen in mir erweckte. Ich empfand es schon immer als ein besonderes Stück Lebensqualität da zu verweilen wo andere hastig einherstürzen und was kann es dafür einen besseren Ort, eine bessere Situation geben, als das geschäftige Treiben eines Flughafens mit seiner beängstigend verwirrenden Weitläufigkeit, die von Anzeigetafeln, Geschäften und Personenkontrollen zerrissen wird, oder vom enervierenden Krach einer Bombe, die ein Terrorist zur Untermalung seines politischen Meinungsbildes zurückgelassen hat. Inmitten diesen Trubels sollte also das Frühstücksmahl stattfinden, das außer dem pragmatischen Ziele der körperlichen Stärkung noch das arrogante Ziel der Demonstration unserer überlegenen Lebensart verfolgte, die im wesentlichen darin bestand Zeit zu haben. Zeit, die wir durch die Vorschrift der frühzeitigen Anwesenheit vor dem Fluge gleichsam geschenkt bekamen und daher umso mehr genießen konnten. Zeit, die im übrigen auch alle anderen Passagiere geschenkt bekamen, aber sie merkten es nicht, so wie sie nie etwas merken, das mit ihrem Leben zusammenhängt, denn sie befinden sich in einem ständigen Zustand der Angst etwas von ihrem Leben nicht mitzubekommen, so daß sie panisch und aufgehetzt eben diesem beständig hinterherlaufen, ohne sich je umzuwenden oder nach der Seite zu schauen, und so nicht bemerken, dass sie es dabei Stück für Stück verlieren.

 

Vor das Frühstück hat die zuständige Behörde das Einchecken gesetzt. Wer dies für bürokratisch und unsinnig hält, der sollte einmal erleben wie schwer es ist den zuständigen Sachbearbeitern klarzumachen, dass sich die Zahl der Reisenden einer Gruppe nicht verändert, wenn eine ursprünglich gemeldete Person fernbleibt, dafür aber eine neue hinzustößt, mithin aber auf jeden Fall für alle gezahlt wurde, weshalb es unerheblich ist, wie diese heißen, zumal sowieso niemand glaubhaft machen kann, dass die Bordcrew ernsthaft bemüht sei die Namen zu memorieren. Was soll es also, aber - ach – es muß wohl sein, und die moderne Technik wird bemüht, um den Fall mit letzter Konsequenz klarzustellen, wobei dem betroffenen Reisenden die ganze Zeit über nicht wirklich wohl ist. Ich kann dies mit Bestimmtheit versichern, denn bei diesem verspätet angeheuerten Fähnrich handelte es sich um den Verfasser dieser Geschichte, der an dieser Stelle gern zugeben will, dass sich der Aufwand beim Einchecken am Ende doch noch lohnen sollte, aber dazu später mehr.

Vor dem Flug 

So, wie der Bauer den Ochsen oder das Pferd, stellen die Fluggesellschaften das Warten vor den Flug. Schwer ist es dem Niegereisten zu beschreiben, wie das Warteareal eines Flughafens beschaffen ist. Würde Luzifer seine Höllenkreise um einen Achten zu erweitern suchen, so könnte er sich praktikable Anregungen auf Flughäfen suchen. Der unbedarfte Reisende mag sich daran nicht stören, aber wer mehr vom Leben verlangt, als trocken und vom Winde geschützt herumzusitzen, der wird sich des Eindruckes nicht erwehren können, dass man ihn hier nicht wirklich dahaben will. Umso verwunderlicher ist es da, dass man für eine so lange Zeit zu warten verdammt ist. Nun sollte es im Falle unserer Reisegesellschaft ja eigentlich zur Demonstration überlegener Lebensart kommen, was mangels gastronomischer Einrichtungen im Areal hinter der Eingangskontrolle aber nicht ging. So belagerten wir denn gemeinschaftlich mit den anderen Verdammten den Getränkeautomaten und bunkerten lebenswichtige Medizin im „Dienstfreien Geschäft“.

 
Der in südlichen Gefilden reisende Europäer sollte stets darauf bedacht sein, dass sein überzüchteter und vom Wohlstand verzärtelter Körper niegeahnten Bedrohungen ausgesetzt ist. Zuallererst gilt die alte englische Kolonialregel: „Peel it, cook it or forget it!“ Der versierte Reisende wird sich zusätzlich dadurch absichern, dass er seine Reiseapotheke mit einer hinreichenden Menge eines schottischen Hochlandgewächses versieht, wobei hier auch günstigere Provenienzen den Anforderungen genügen. Romantiker werden sich für eine Seereise mit jamaikanischem Zuckerrohrdestillat versehen, welches sich ebenfalls in langjährigen britischen Studien als wirksam erwiesen hat.

 Obwohl man die Warterei auf den Flug als eine Art stationärer Reisekrankheit auffassen kann sei vor allzu eifriger Medikamentierung an dieser Stelle gewarnt.

Der Flug 

Da es sich bei dieser kleinen Schrift um eine Reisebericht handelt, dem eine Reise zur See zugrunde liegt, soll an dieser Stelle nur erwähnt werden, dass es sich um einen ganz gewöhnlichen Flug handelte, bei dem es im Großen und Ganzen lediglich darum ging, wie es einer großen Anzahl von Menschen, die auf geschickte Weise in einer noch größeren Menge von Metall und Kunststoff verpackt wurden, gelang, vom Boden abzuheben, sich Vogelgleich, allerdings ungleich schneller, durch die Luft zu bewegen und in südlichen Gefilden sicher wieder aufzusetzen. Das ganze passierte auf so unspektakuläre Weise, dass ich mich kaum noch an Einzelheiten zu erinnern vermag, sieht man einmal von der exzellenten Klimaanlage ab, die es vermochte, die Luft so gut umzuwälzen und meinen Körper so weit herunterzukühlen, dass es einem kleinen und unscheinbaren Virus, dessen Träger sich irgendwo weiter vorn aufhielt, gelang, sich so in meinem Körper einzunisten, dass für den Rest der Reise nicht von völliger Funktionstüchtigkeit gesprochen werden kann. 

Es kann also nicht schaden etwas warme Bekleidung mit in den Flieger zu nehmen

Durchs wilde Kurdistan

 … sind wir nicht gefahren, nachdem uns ein sehr pünktlicher und hilfsbereiter Fahrer vom Flughafen abholte, aber es würde mich schon sehr wundern, wenn es dort wesentlich anders aussehen würde als in den Landstrichen, die wir zu durchqueren hatten, um zum Boot zu gelangen. An dieser Stelle wird in Reisebeschreibungen gern geschildert, wie der Fahrer seinen Passagieren durch kamikazehafte Fahrweise durch enge Serpentinen und über schmale Bergpässe zu einer zünftigen Nahtoderfahrung verhilft. Neue breite Straßen und ein eher behäbiges Gemüt seitens des Fahrers halfen, uns vor einem raschen Verkehrstod zu verschonen, so dass wir auch ohne Anstrengung die Waren begutachten konnten, die von Händlern an den Straßenrändern feilgeboten wurden. Im Großen und Ganzen handelte es sich dabei um irdenes Geschirr, wie man es in rustikal wirken wollenden Bodrumer Restaurants zur Präsentation der Speisen nutzt, und um nahezu lebensgroße Nachbildungen von Schafen, die wie Lamas aussahen und möglicherweise eine bizarre Form von Sexspielzeug darstellten.

Bodrum 

Aufmerksame Bewohner dieser Kugel stolpern früher oder später über den seltsamen Umstand, dass manche Menschen so aussehen wie sie heißen. Mit Bodrum ist das ähnlich. Bodrum – was für ein Wort – klingt wie eine Mischung aus Bodden und Bochum, sieht auch so aus und leben möchte man da ebenfalls nicht unbedingt, sieht man einmal von Grönemeyerfans ab. Angeblich zieht es junge und vor allem partysüchtige Menschen in Scharen in diese Stadt, es gelang mir aber nicht zu erkennen warum. Das wirklich Schöne oder sagen wir mal praktische an Bodrum ist der Hafen. Häfen bringen es mit sich, dass dort Schiffe ein Zuhause finden und das unsrige wartete bereits darauf von unserer Crew übernommen zu werden – theoretisch – aber sowas ist alles nicht mehr so einfach in unserer Zeit, weshalb sich der größte Teil der Crew gleich wieder aus dem Staube machte, um Vorräte zu beschaffen, so dass letztlich der Skipper allein den Übernahmeprozeß zu regeln hatte. Das Schöne an unserem Skipper ist, dass er das dann auch tut.

 Wie einfach war es doch zur großen Zeit der Segelschiffe an Bord zu kommen, anzuheuern, die Welt zu sehen. Zu Zeiten, als Britannien noch Seemacht war reichte es sich in einer Hafenstadt in die nächste Kneipe zu setzen und ein Bier zu bestellen. Schnell fanden sich nette oft mit schicken Uniformen versehene Herren, die einem noch ein zweites Bier spendierten, vielleicht bekam man sogar noch einen Schilling geschenkt … jedenfalls erwachte man dann bereits am nächsten Morgen mit mächtigem Kater und einer ansehnlichen Beule versehen auf einem Schiff. Bei Sail 200X läuft das ein wenig anders und vor allem ohne Beule, aber dafür ist man der Bürokratischen Willkür der Charterfirmen ausgesetzt.

 Der ursprüngliche Plan bestand darin das Boot zu übernehmen, Vorräte zu Bunkern und da abzuhauen. Der spontan erstellte und an die aufgezwungenen Bedingungen angepasste Ersatzplan sah vor die Nacht notgedrungen im Hafen zu verbringen, um dann gleich beim ersten Tageslicht Land zu gewinnen, äh verlieren. Gegen 9.30 Uhr tuckerten wir dann auch tatsächlich los.

 Es gehört zu den fundamentalen Erfahrungen dieser Reise, dass Pläne ziemlich genau dasjenige Szenario beschrieben, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eintrat. Der geneigte Leser, der mit dem Gedanken spielt sich dereinst einmal an einem Törn bei Sail 200X zu beteiligen sollte sich aber auch darauf nicht allzu sehr verlassen.

Kacheln

Wie schön und ausdrucksstark ist doch unsere Sprache und wie vielseitig weiß sie Worte einzusetzen. Manchmal entbehrt dies einer gewissen Logik, ohne dabei an lautmalerischer Kraft zu verlieren.

Wer schon einmal Gelegenheit hatte sich in einem Badezimmer aufzuhalten konnte einen lebendigen Eindruck davon gewinnen, wie glatt, eben und gleichmäßig eine Wand sein kann, wenn ein kundiger Handwerker die Kacheln an ihrem Ort platzierte. „Still und glatt lag die See vor dem Bug unseres Schiffes …“ heißt es oft in wildromantischen Abenteuerromanen und rein optisch könnte man so was spontan für kacheln halten, aber nein – wenn es der große Macher dieser Kugel kacheln lässt, dann sieht das anders aus. Wind und Wellen gebärden sich in bizarr unmanierlicher Weise, um mit den ihnen ausgesetzten Booten ein Gesamtkunstwerk aufzuführen, dem wir teilhaftig wurden, sobald sich unser Mast über die Grenzen der schützenden Bucht von Bodrum schob. Nur von der dreiviertel Fock getrieben gierte unser französischer Mistkahn, wie

ihn unser Skipper liebevoll nannte, mit an die zehn Knoten durch die Straße von Kos. Mit einer Mischung aus Angst, Faszination und warten auf die Seekrankheit gaben sich die Landratten dem Auf und Ab der Wellen hin. Sollte so ein Boot nicht vielleicht doch größer sein als die es umgebenden Wellen? Erstaunlich war an dieser Stelle auch wie sehr die Versicherungen des Skippers in keinster Weise beruhigend wirkten, dass das auch noch stärker gehe und man erst mitreden könne, wenn man nachts auf dem Atlantik einen Sturm mitgemacht habe. Die Vielzahl der Segel, die an diesem Tage auszumachen war zeigte aber deutlich, dass die aktuellen Bedingungen aus seglerischer Sicht so wie sie waren auch gewollt waren; vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass Sonntag war und die Leute einfach Zeit hatten und sich im übrigen nicht so leicht vom Wind einschüchtern ließen wie ich.

 Zumindest schien ich nicht anfällig für die Seekrankheit zu sein und das war doch sehr beruhigend, denn bei dreißig Grad Krängung und wackligem Stand kotzt es sich einfach nicht so gut, zumindest würde es Abzüge in der B-Note geben.

Das Tagesziel Knidos wurde am frühen Nachmittag erreicht. Dieser Ort hat reichlich Geschichte, die man betreten, sehen, anfassen und sogar photographieren darf. Nur einstecken darf man nichts denn hier ist jeder Stein Geschichte und da kennen die türkischen Behörden ja nun gar keinen Spaß. Davon abgesehen sah es dort aber genau so aus wie in den anderen Ecken der Türkei, die ich bis dato bereiste. Der Unterschied bestand im wesentlichen darin, dass Knidos vor über 2000 Jahren von Griechen erbaut wurde, was allerdings öfter mal in der Türkei vorkommt, wobei es bisweilen schwer fällt die griechischen Gebäude von den türkischen zu unterscheiden, wenn man kein Historiker ist. Da wir nicht alle das Glück haben einmal vor Unerbittlichem stehn zu können, stellte ich mich in das alte Amphitheater und sagte ein Gedicht auf. Solches macht nämlich sicher und stolz und ich kann jedem nur empfehlen das Gleiche zu tun, wenn man mal so ein altes Theater besichtigt. Mich ergriff ein ungeheures Hochgefühl – ich war ganz besoffen davon. Leider bekam ich keinen Applaus, da das Theater vor etwa 1350 Jahren geschlossen werden musste, weil eine arabische Flotte, grausig und groß, die Stadt in Schutt und Asche legte.

 Das Boot war vorschriftsmäßig am Steg festgemacht, als noch ein sehr sympathisches schweizerisches Ehepaar den letzten freien Platz besetzte. Sie eigneten ein wunderschönes altes hölzernes Boot, das augenscheinlich noch sehr gut in Schuß war. Die Dame des Bootes prägte im folgenden Gespräch den Satz des Tages. Als ein Katamaran in die Bucht einfuhr und in der zweiten Reihe festmachen zu wollen drohte, kommentierte sie dies: „Was ist denn das für ein Geschwür? Die dürfen aber nicht neben uns festmachen. So Leute gehen mir nicht über den Bug.“

 Es gibt in Knidos eine Taverne in der man recht ordentlich essen kann. Es gibt frischen Fisch, den man sich vorher aussuchen kann und der dann frisch zubereitet wird – nach Wunsch – und wenn man beispielsweise viel Knoblauch dran haben will, dann machen die das auch so, aber das kann man sich im Prinzip sparen, denn der Knoblauch schmeckte irgendwie nicht so recht nach Knoblauch; eigentlich gar nicht. Der Skipper war jedenfalls nicht amüsiert und ich fror, da der Virus aus dem Flieger anfing sich ernsthaft mit meinem Immunsystem anzulegen.

 Ihr segelt wohl nicht gerne

 lautet der Kampfruf des Skippers, den er jedem provozierend entgegenbellt, der es wagt mehr als hundert Faden am Tag mit Motorkraft zurückzulegen. Am dritten Tag der Reise traf dieser Vorwurf nahezu alle Segler der Umgebung. Von Knidos ging es nach Datca bei 1-3 Bft im Schmetterling vor dem Wind. Leider total überhaupt nicht in der brausenden Fahrt wie am Vortag, aber dadurch hatten wir Gelegenheit mal das ganze Gurtzeug auszuprobieren und an Backbord etwas Tarzan zu spielen. Datca in Sicht – komisch, ich muss irgendwie immer an ein billiges Auto denken, wenn ich an diesen Teil der Reise denke – änderten sich die Bedingungen. Der Wind frischt auf und kam ziemlich exakt aus der Richtung in die wir wollten. Da wollten übrigens noch etliche andere auch hin, was sie durch uniformes Verhalten signalisierten. Sie strichen weit, weit draußen die Segel und tuckerten gemächlich in den Hafen hinein. Der Skipper brachte (mal wieder) seinen Spruch und erläuterte uns was es mit dem Kreuzen auf sich hat. Ich befürchtete nach der Vorankündigung etwas mit dicken Holzbalken und Nägeln, aber eigentlich wollte er nur gegen den Wind segeln, was er im praktischen Teil seines Unterrichts dann auch gründlich mit uns exerzierte – er ist halt ein Pädagog’. Nach einigem hin und her bekamen wir die Manöver recht ordentlich hin und schipperten dramatisch an der Mole vorbei bis in Wurfweite unter Segeln an den Steg heran, so dass dann auch jeder wusste aus was für GFK wir geschnitzt sind. So waren wir denn auch das Thema in den Hafenkneipen und Restaurants und man zerriß sich das Maul über uns, also das nehme ich jetzt jedenfalls mal so an, denn wir waren nicht da, weil viel zu teuer und überhaupt ist es doch irgendwie nicht einzusehen, dass man ins Ausland fährt, nur um dann mit anderen Deutschen zusammen deutsches Essen zu mampfen und deutsches Bier zu trinken. Es empfiehlt sich jedenfalls drei Querstraßen weiter und dann links zu gehen, wo man nach Einheimischen Ausschau hält, die an der Straße sitzen und essen. Da setzt man sich dann einfach dazu, sagt noch höflich Schalom und macht dann der jungen Dame mit der Schürze mit raumgreifenden Armbewegungen klar, dass sie einfach von allem was bringen soll, was sie so da haben. Die machen das dann recht flink und es werden bestimmt alle satt und das kostet dann so viel wie eine Portion am Hafen, schmeckt sowieso besser und irgendwie sogar ein bisschen nach Knoblauch.

 Muss ich eigentlich erwähnen, dass wir Datca vom Steg weg unter Segeln verlassen haben?

 Der Fjord

Ich vertrete schon länger die Theorie, dass die Götter der Antike von norwegischer Abstammung waren. Die eher weichlichen darunter, also Zeus & Co. haben sich dann halt irgendwann ans Mittelmeer abgesetzt und ihren eigenen Laden aufgemacht, mit ihrer eigenen Kundschaft, die Prometheus (hatte ich eigentlich erwähnt, dass es das gleichnamige Gedicht des großen Ohjann Golgo van Fontheweg war, das ich in Knidos so ergreifen vortrug?) aus den örtlichen Baumaterialien zusammenmanschte und die dann vom Olymp aus verwaltet wurden. Später drängte sich dann ein galiläischer Fischerkult in den Markt, aber das ist eine andere Geschichte. Die alten Götter hatten es jedenfalls eigentlich nur auf das milde Klima abgesehen, darüber hinaus aber gerne mal Heimweh, weshalb ein zünftiges Terraforming veranstaltet wurde, das aber mangels qualifizierter Mitarbeiter mehr gewollt als gekonnt ablief. Das Ergebnis macht die Mittelmeergegend bis heute für Segler so angenehm, da es nahezu überall kleine Buchten gibt, die Schutz vor den Fährnissen der See bieten und manchmal da hat es dann auch geklappt mit den Gastarbeitern und es wurde nicht nur eine kleine Bucht aus dem Fels gehauen, sondern ein schlanker Fjord, was dann das Heimweh für die Götter erträglich machte. Ein solches antikes Terraformingprojekt war das Ziel des vierten Tages. Wir setzten alles Zeug das da war, also Groß- und Focksegel und kamen gut voran, bis es dann plötzlich grau wurde und zu regnen anfing. Ich blieb allein an Deck zurück und nutzte die Gelegenheit einen dieser kosmischen Momente zu erleben in denen man mit sich und dem Universum allein ist und versteht, einfach versteht – alles.

Man sitzt einfach da, den Elementen ausgesetzt, von ihnen buchstäblich getrieben, grau-blaue, rau-unbewegte See, feucht-kalter Wind schlägt über Deck, treibt uns mit fünf Knoten voran und der Verklicker zeigt träge nur das Offenbare. Unvergeßlich und tiefer rührt es ans Herz des Menschen als alle Liebe der Welt, wenn man es schafft in solchen Augenblicken ganz bei sich zu sein. Es hilft übrigens, wenn man sich vorher kurz mit Herrn Bowmore oder Fräulein Laphroaig bespricht, die in derlei Fällen meist sehr hilfsbereit sind.

 Die Einfahrt in den Fjord gestaltete sich ungleich einfacher als das Ankern. Aufgrund bestehenden Verbotes musste eine Stelle an der Westseite gefunden werden. Intuitiv als günstig erscheinende Plätze waren schon belegt. Wir hatten mit Untiefen, Steinen, der Ankerkette und den Leinen zu kämpfen – nichts davon war so lang wie der Charterfirma angegeben hatte. Günter und Oliver kamen lange nicht aus dem Wasser heraus, welches zugegebenermaßen angenehm warm war. Endlich gelang es doch Halt mit dem Anker zu finden, und mit vier vorschriftsmäßig aneinander geknüpften Festmacherleinen die Entfernung zum nächsten Baum zu überbrücken. Die Anstrengungen des Tages wurden belohnt, als ein Fischer längsseits kam, um seinen Fang feilzubieten, der uns ein hervorragendes Abendmahl lieferte. Der Fjord war am Ende des Tages recht voll, auch hatte sich eine Motorjacht eingefunden, was das allgemeine Niveau doch sehr senkte; sicherlich zur Freude des Katamarans, der bis dato das Geschwür am hiesigen Arsch der Welt bildete, in welchen wir so tief hineingekrochen, dass auch im schlimmsten Sturme mit einer ruhigen Nacht zu rechnen gewesen wäre. Passend zum Euvre des Ortes arbeitete die Besatzung inzwischen erfolgreich an einer angemessenen olfaktorischen Untermalung. Zumindest konnte das Knoblauchproblem für heute gelöst werden, wenngleich sich herausstellen könnte, dass vier Knollen für eine Mahlzeit von fünf Herren möglicherweise zu viel sein könnten. Der Skipper indes bestand auf seiner wiederholten Feststellung, dass das Knoblauchbrot einmal mehr nicht nach Knoblauch geschmeckt habe. Eine endgültige Beurteilung des infragestehenden Umstandes wurde auf den folgenden Tag verschoben, an welchem überprüft werden sollte, ob sich benachbarte Yachten zu übereilten Ablegemanövern provozieren lassen, indem man sich ihnen schwimmend nähert.

Die Piratenbucht

 ist ein nettes Restaurant in Dresden, in dem Getränke in irdenen Krügen gereicht werden und ein kleines Bier einen halben, ein großes dann gleich zwei Liter fasst. Außerdem war es der Ankerpunkt des vierten Tages, der bereits nach spektakulär kurzer, aber dafür flotter Fahrt erreicht wurde. Leider hieß die Piratenbucht gar nicht so, sondern Serce Limani, diente dereinst aber mal als solche und wenn nicht, dann waren die Jungs ziemlich blöde, denn sie ist sehr geräumig mit enger Zufahrt, die sich hervorragend verteidigen lässt (gutes Schussfeld bei hervorragender Deckung in den umgebenden Felsen). Die Küste ist so eigenartig geformt, dass man an der Einfahrt schnell mal vorbeifährt, ohne sie zu bemerken. Wir haben sie natürlich gleich gefunden, aber man erkennt die Zufahrt tatsächlich erst so richtig als solche, wenn man sie bereits durchfährt. Es gibt hier keinen Steg zum festmachen, sondern Moorings, was recht angenehm ist, wenn man eh nicht beabsichtigt an Land zu gehen oder ein Beiboot hat mit dem man an Land übersetzen kann. Was unangenehm an der Piratenbucht war sind die Fallwinde, die dort durch ein enges Tal aus Nordost hineinbrettern und Assoziationen zu einem Windkanal aufkommen lassen. Vielleicht sind die Piraten deshalb da weg. Ich für meinen Teil habe elendig gefroren, was auch nicht wirklich schlimm war, denn das eigentliche Problem war unser verunfallter Skipper, der während eines dramatischen Auftrittes auf dem Niedergang abrutschte. Glücklicherweise war nichts so richtig kaputt gegangen, sondern es tat alles nur weh und auch nur ihm.

 Wenn man ein Beiboot hat oder schwimmen kann und gern durchnässt in Tavernen hockt, dann kann man sich von einem Nachfahren der Piraten recht ordentlich bekochen lassen. Der Laden war jedenfalls voll und vielleicht hat er bis heute so viel eingebracht, dass ein anständiger Steg zum Anlegen in die Bucht gepflanzt wurde.

Der folgende Tag war dann eher zum abgewöhnen. Wir waren inzwischen recht sicher, dass der Skipper noch mal Glück gehabt hatte, aber er war doch recht eingeschränkt in seiner Bewegungsfähigkeit, was die Crew zunächst ordentlich forderte, dabei aber auch tüchtig Fahrt abwarf – erstmal. Dann kam die Flaute und wir mussten … also wir … na ja … wir sind dann halt gegen Mittag zu unserem Bestimmungsort (Ciftlik Bükü) gekommen und mussten, als wir da waren, keine Segel einholen.

 Der Rest des Tages war dann doch wieder sehr OK. Es gab Strom, wirklich kaltes Bier und abends Lamm am Spieß, das wir uns mit der Besatzung der „Finch“ teilten. Diese mir bis dato völlig unbekannten Leute entpuppten sich als unmittelbare Landsleute von mir, was dahingehend ungewöhnlich ist, dass ich aus einer Gegend Deutschlands stamme, die wirklich erschütternd dünn besiedelt ist (man kennt sich) und keine maritime Vergangenheit hat.

Zurück an Bord kam es dann noch zu beträchtlichem Alkoholmissbrauch, der allerdings nötig war, um unsere intellektuell tiefschürfendsten Diskussionen emotional kontrollierbar zu halten.

 Marmaris

Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Russland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur. Der Wasserdampf in der Luft hatte seine geringste Spannkraft, und die Luftfeuchtigkeit war recht gering, mit einem Wort: Es war ein schöner Tag. Es sollte der letzte Tag auf See werden, und dieser letzte Tag begann wie so vieles, das je zu beginnen schon angefangen hatte mit einem zünftigen (Kater-)Frühstück an Deck, mit dem besonders der Skipper sichtlich zufrieden war, denn endlich, endlich, endlich breitete sich einmal ein angenehm wohliges Knoblaucharoma über seine geschundenen Geschmackspapillen aus. Quelle war eine unscheinbare und bisher verschmähte Billigwurst aus einem Bodrumer Süpermarkt, die im Übrigen keinen Knoblauch enthielt.

 Um nach Marmaris zu kommen musste ich ein letztes mal das Großsegel nach oben kurbeln. Das ist immer ganz toll und ein prima Argument, um nicht der zu sein, der dann rumturnen muss, um den Bullstander zu setzen. Der Skipper besteht meist auf diesen Sicherungsstrick, weil er Leute mit abpem Kopf nicht abkann. Wir waren dann jedenfalls wieder viel schmetterlingsmäßig unterwegs, weil der Wind von hinten kam. Wiedereinmal fuhren wir unter Segeln in den Hafen ein, was bei einem so großen Hafen wie dem von Marmaris mit so viel Verkehr wie in Marmaris von Vorteil ist, weil man gegenüber den motorisierten Kollegen Vorfahrt hat. Theoretisch! Türkische Sportbootfahrer wissen so was beispielsweise gerne mal nicht oder sie wissen es, machen sich damit aber keinen Stress, da sie eh viel schneller sind als die Segler, was praktisch gesehen ein echtes Argument ist, aber nur solange man keinen todesgeängstigten hysterisch kreischenden parasailenden Touristen im Schlepp hat, wie der Kollege, der unser Kielwasser kreuzte. Naturgemäß war er schnell wieder vor uns weg, aber sein Anhängsel nicht und so kam die Leine unserem Mast näher und näher und die Kreischwurst wurde lauter und lauter. Der Turbopropper konnte das natürlich nicht hören in seinem Flitzer, aber uns ging das schon auf die Nerven, so dass der Skipper dann irgendwann abdrehte – also mit dem Boot. 

Nachdem wir erfolgreich festgemacht hatten war die Reise vorüber. Da gab es dann noch eine letzte Nacht auf dem Boot, eine Bootsübergabe, Stadtbesichtigungen, Basarbesuch inklusive Feilschen, dramatische Nassrasuren von witzigen Jungtürken mit scharfen Messern, öffentliches schuhegeputztbekommen (Ist ihnen schon mal aufgefallen, dass es in Deutschland zu wenig Schuhputzer gibt?), kollektives wasserpfeiferauchen und anderer Tourikram, aber das ist eigentlich unwichtig und nicht von allgemeinem Interesse, da es das Übliche ist. Das Übliche aber ist bei Sail 200X nicht das Gewollte und darum will ich jetzt hier auch nicht weiter davon sprechen respektive schreiben. Wovon man aber nicht sprechen kann, davon soll man schweigen.

Anmerkung des Autors:
 

Dem wahrscheinlich recht belesenen und hoffentlich geneigten Leser wird möglicherweise aufgefallen sein, dass der Text bisweilen Anleihen diverser Literaten enthält. Dies hat zunächst die Funktion sie zu unterhalten, indem sie sich nun auf die Suche machen können um die bewussten Stellen den Autoren und Werken zuzuordnen, weshalb ich sie auch nicht auf die übliche Weise gekennzeichnet habe, denn das nähme ihnen ja den ganzen Spaß. Außerdem ist es eine Verbeugung vor den Kollegen und ihrer über die Maßen bewundernswerten Fähigkeit die Dinge so über die Maßen richtig und schön auszudrücke

 Lars Meinecke

Zurück

Sail200X ist eine Idee von Arndt Redmann  Am Sportfeld 8  61231 Bad Nauheim